Daniel Rothmund, Oktober 2023
Pandemiebedingt waren digitale Lösungen unumgänglich, von Videokonferenzen, Webinaren, digitalen Sprechstunden bis hin zu online Präventionskursen… der Alltag fand für viele digital statt. Zurück in der Normalität, haben sich einige digitale Lösungen etabliert, während andere direkt wieder abgeschafft wurden. Zu vorschnell? Wie z.B. bei digitalen Präventionskursen nach §20 SGB V. Hier schlummert gewinnbringendes Potential für Präventionsanbieter
Herkömmliche Präsenzkurse haben eine limitierte Reichweite
Die bei Krankenkassen und Präventionsanbietern vorherrschende Idealvorstellung für Präventionskurse, ist ein wöchentliches Präsenzsetting mit einem Experten als Kursleiter. Besonders der Aspekt der direkten Ansprache- und Korrekturmöglichkeit durch die Kursleitung ist eines der Hauptargumente für Präsenzveranstaltungen. Der Zugang hierzu soll maximal niederschwellig sein, um eine breite Masse zur Prävention zu motivieren.
Ist dieser Ansatz tatsächlich niederschwellig? Nach dem Präventionsbericht 2020 (1) für 2019, zeigt sich ein Rückgang der Kursteilnahmen von 2.105.409 im Jahr 2009, auf 1.805.889 im Jahr 2019. Der Tiefpunkt war 2012 mit 1.343.236 Kursteilnahmen erreicht. 81% der Kursteilnehmenden waren Frauen. Betrachtet man die Altersverteilung, ist die Altersgruppe von 40-70 Jahren überproportional vertreten. Unter Einbezug des Anteiles an der Gesamtbevölkerung, zeigt sich sogar ein deutlich höheres Interesse an den Angeboten bei 60- bis 70-jährigen im Vergleich zu den anderen Altersgruppen; d.h. in den letzten Arbeitsjahren bzw. nach dem Eintritt in die Rente.
Somit werden in der aktuellen Umsetzung, durch vorwiegend in Präsenz stattfindenden Kurse, nur ein kleiner Teil der Präventionsberechtigten erreicht. Bei über 50 Mio. beitragspflichtig Versicherten fanden 2019 nur ca. 1,8 Mio. Kursteilnahmen statt. Dabei wurden schwerpunktmäßig nur bestimmte Gruppen erreicht. Für alle anderen Präventionsberechtigten scheint dieser Zugang nicht niederschwellig genug zu sein.
Was lässt sich aus den Zahlen ableiten? Wo sind potentielle Hürden, die den Zugang erschweren und welches Potential ergibt sich aus dieser Erkenntnis?
Räumliche und zeitliche Bindung von Präsenzkursen als Hürde
Präsenzkurse haben feste Kurszeiten und einen festen Ort der Durchführung. Inklusive Anfahrtszeit ist für einen einstündig angesetzten Präventionskurs schnell eine Zeitinvestition von zwei Stunden nötig. Die Zeit muss passend in den Berufsalltag oder gegebenenfalls auch in die Tagesabläufe der Familienmitglieder integrierbar sein. In der Summe für viele Menschen eine zu hohe Hürde, um an Präsenzangeboten teilzunehmen.
Betrachten wir in diesem Kontext die Ergebnisse des GKV-Präventionsberichts, scheint der Zugang zu Prävention einfacher zu sein, wenn der Alltag freier planbar ist z.B. mit Eintritt in das Rentenalter oder der Altersteilzeit, was die hohe Prävalenz der Inanspruchnahme bei Älteren erklären könnte. Besonders der Aspekt Teilzeit, könnte auch die hohe Prävalenz der Frauen bei der Inanspruchnahme erklären. Frauen machen einen deutlich höheren Anteil bei den Teilzeitbeschäftigten aus. So gingen beispielsweise 2019, 72,6% aller Mütter mit Kindern unter 6 Jahren, einer Teilzeitbeschäftigung nach (2).
Das soziale Setting von Präsenzkursen kann den Zugang erschweren
Das soziale und motivierende Miteinander ist für viele Kursleiter und auch Kursteilnehmer eines der entscheidenden Elemente, besonders im Handlungsfeld Bewegung – Stichwort: Gemeinschaftsgefühl.
Doch genau dieses soziale Setting kann auch Druck erzeugen und für sehr viele, eigentlich Präventionswillige, zur unüberwindbaren Hürde werden. Dabei verhindern Ängsten, wie Angst vor Versagen, Angst vor der Erwartungshaltung des Kursleiters, Angst sich in Sportkleidung zu präsentieren oder generell einem Schamgefühl, den Zugang zu Gruppenkursen. Leider sehr oft oder besonders bei Menschen mit hohem Präventionsbedarf.
Dies wird in Firmensettings sehr deutlich, wenn Mitarbeiter mit besagtem Präventionsbedarf keinen Zugang zu Angeboten im Bereich Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) oder der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) finden. Diese Mitarbeiter wollen in der Regel nicht mit Arbeitskollegen trainieren, aus Angst, dass sich im Arbeitsalltag negativ auswirken könnte.
Digitale Lösungen – Niederschwellig³
Diese räumlichen, zeitlichen und sozialen Hürden alleine sind schon ausreichend, den bis dato beschränkten Zugang zu Präventionsangeboten über Präsenzkurse in Frage zu stellen. Sollen weitere Zielgruppen erreicht werden, müssen weitere Bedürfnisse befriedigt werden, auch wenn dabei von der Idealvorstellung abgerückt werden muss. Wie z.B., dass es zu einem direkten Austausch und einer direkten Korrekturmöglichkeit vor Ort in Präsenzkursen kommt. Denn solche, als ideal definierten Settings, können ihre Wirkung nur beschränkt entfalten, wenn sie von einer breiten Masse gar nicht in Anspruch genommen werden. Das Resultat ist vielmehr, dass Präventionswilligen eigene Lösungen suchen, wie YouTube, Online Fitness Plattformen etc., ohne dabei durch eigene fachliche Kompetenz bewerten zu können, ob die Inhalte wertig sind.
Der Erfolg dieser Videoplattformen zeigt, dass die Bedürfnisse einer großen Zielgruppe zeitgemäß befriedigt werden. Die Inhalte sind immer verfügbar und flexibel abrufbar. Soll also Prävention einer breiteren Masse zugänglich gemacht werden, müssen die Präventionsangebote ebenfalls einfach, flexibel und auch anonym angeboten werden.
Dies wurde vom GKV-Spitzenverband erkannt und entsprechend 2018 im Leitfaden Prävention (3) berücksichtigt, das Kapitel 5 wurde um Inhalte zu „Informations- und Kommunikationstechnologie gestützte Kurse (IKT-Kurse)“ erweitert. In der breiten Anwendung finden sich seitdem vor allem zwei Varianten. Zum einen Live Onlinekurse und On-Demand Onlinekurse. Besonders die Onlinekurse bieten hier sowohl für die Kursteilnehmenden als auch die Kursleitungen enorme Potentiale.
Onlinekurse
On-Demand Kurse sind die Lösung für maximale Flexibilität, sowohl räumlich als auch zeitlich, sowie die Möglichkeit eine maximale Anonymität zu gewährleisten. Die einzelnen Kursstunden sind komplett abgefilmte Inhalte, die vom Kursteilnehmer 24h am Tag flexibel abrufbar sind. Es gibt also weder eine räumliche noch zeitliche Bindung, einzige Voraussetzung ist ein internetfähiges Endgerät sowie eine stabile Internetverbindung.
Die Vorteile für den Kursteilnehmer liegen auf der Hand. Die Kurse lassen sich flexibel in jeden Alltag integrieren. Es findet zwar kein direkter Austausch mit dem Kursleiter oder Kursteilnehmer statt, dafür kann die einzelne Kursstunde genau dann gestartet werden, wenn es der eigene Zeitplan zulässt. Sollten Fragen oder Probleme auftreten, müssen Kursanbieter, wie im Leitfaden Prävention definiert, gewährleisten, dass ein Austausch über Telefon, Mail und in einem von Experten moderierten Forum stattfinden kann.
On Demand Kurse ermöglichen zudem einen anonymen Zugang zur Prävention und ermöglichen so Menschen, die das soziale Setting bisher als größte Einstiegshürde wahrgenommen haben, einen Zugang.
Aus Anbietersicht, d.h. aus der Sicht eines selbständigen Präventionstrainers, haben Onlinekurse den Vorteil, dass diese einfach in den Alltag integriert werden können. Es werden kaum personelle oder räumliche Ressourcen benötigt. Einmal gestartet, laufen die Kurse in der Regel autonom. Der Zeitaufwand begrenzt sich somit auf den Vertrieb der Kurse und die Betreuung der Online Kursteilnehmer. Dadurch erschließen sich komplett neue Zielgruppen und somit Zusatzeinnahmen, mit der Option die online Kursteilnehmenden in Präsenzkurse zu überführen oder von Selbstzahlerangeboten zu überzeugen.
Der Weg zur Umsetzung ist allerdings mit einem recht hohen Aufwand verbunden. Neben der Konzeptionierung, dem Videodreh und Schnitt sowie der Zertifizierung müssen die Videos über eine geeignete Software dem Kursteilnehmer zur Verfügung gestellt werden. Im Vergleich zu Präsenz- und Live-online-Kursen ist hier mit deutlich mehr Investitionen zu planen. Die gute Nachricht: Es gibt kommerzielle Anbieter, die neben den Videoplattformen auch bereits zertifizierte Kurse anbieten. Diese lassen sich, je nach Konzept- und Plattformanbieter, in das Portfolio der einzelnen Präventionsanbieter integrieren, zum Teil sogar mit eigener Zertifizierung, d.h. mit eigenem Eintrag in den Kursdatenbanken der Krankenkassen.
Fazit
Präventionsangebote müssen maximal niederschwellig sein, um einer breiten Masse den Zugang zur Prävention zu ermöglichen. Wenn bestehende Angebote, wie die Präsenzangebote, nur einen kleinen Teil der Präventionsberechtigten ansprechen, müssen Konzepte entwickelt werden, die weitere Zielgruppen bedienen. Mit der Möglichkeit, Informations- und Kommunikationstechnologie gestützte Präventionskurse (IKT-Kurse) nach §20 SGB V zertifizieren zu lassen, bietet sich nun auch ein Weg Menschen anzusprechen, die sich räumlich und zeitlich nicht binden können oder, bedingt durch das soziale Setting, keinen Zugang zu Präsenzkursen gefunden haben. Diese digitalen Angebote stellen keine Konkurrenz zu Präsenzangeboten dar, sondern sind eine notwendige Erweiterung, um einer breiteren Masse Prävention niederschwellig zugänglich zu machen.
Für Präventionstrainer/innen bieten IKT Kurse eine gewinnbringende Möglichkeit, das eigene Portfolio zu erweitern, um neue Zielgruppen zu erreichen und dadurch direkt weitere Zusatzeinnahmen zu generieren.
Quellen:
(1) GKV-Spitzenverband 2020. Präventionsbericht 2020. Zugriff am 29.11.2021 unter https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/praevention__selbsthilfe__beratung/praevention/praeventionsbericht/2020_GKV_MDS_Praeventionsbericht.pdf
(2) Statistisches Bundesamt (Destatis) 2021. Qualität der Arbeit – Eltern die in Teilzeit arbeiten. Zugriff am 29.11.2021 unter
https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-3/eltern-teilzeitarbeit.html
(3) GKV-Spitzenverband 2021. Leitfaden Prävention. Zugriff am 29.11.2021 unter https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/praevention__selbsthilfe__beratung/praevention/praevention_leitfaden/Leitfaden_Pravention_komplett_P210177_2021_barrierefrei.pdf
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