Michael Janke, Oktober 2023

In dieser Ausgabe widmen wir uns einem Thema, welches dem gesundheitsorientiert wirkenden Trainer regelmäßig die Sprache verschlägt. Ironie dieser Formulierung: Es geht tatsächlich um Sprache. Genauer genommen um einen Sprachgebrauch, der bis heute in der ärztlichen Praxis gang und gäbe ist. Geradezu sein Unwesen treibt und Unheil anrichtet. Und zwar in Größenordnungen!

Aus Sicht der Prävention – egal ob primär, sekundär oder tertiär – sind die Begriffe „Abnutzung“ und „Verschleiß“ die Unwörter des vergangenen und gegenwärtigen Jahrhunderts. Mit fatalen Folgen für die Gesundheit von Millionen Menschen, die Finanzen des Gesundheitswesens und der Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft.

Erst der Gebrauch erhält die Funktion

Welches ist die häufigste medizinische Erklärung, die im Zusammenhang mit Beschwerden im Bereich des Rückens und der Gelenke gegeben wird? Es wird wohl eine Arthrose dahinterstecken.

Fragt man als Laie nach, was das heißt, erfährt man zum einen, das es sich um Abnutzungserscheinungen an den Gelenkflächen handelt, die mit fortschreitendem Alter daherkommen. Ebenso bekommt man zu hören, das die „Abnutzungen“ bzw. „Verschleißerscheinungen“ unumkehrbar sind, das sich nichts dagegen tun lässt. Zur Linderung der Beschwerden geht man zur Physio, lässt sich operieren oder/und – natürlich – schluckt schmerzmildernde Medikamente. Genauso lässt es sich auch im Internet nachlesen, egal, in welchen medizinischen Ratgeber man hineinschaut.

Arthrose gehört zu den häufigsten Krankheitsbildern Deutschland. Millionen Menschen sind davon betroffen und 12 Milliarden Euro kosten die Behandlungen – jedes Jahr. Tendenz zunehmend steigend, da die Bevölkerung überproportional älter wird. Und mit dem Alter kommt noch mal wer? Ah ja, der Verschleiß.

Was aber bereitet dem Präventionstrainer an der medizinischen Auffassung, dass den Beschwerden „Verschleiß“ und „Abnutzung“ zugrunde liegen, solche Bauchschmerzen? Mindestens zweierlei. Zum einen, das die Begriffe semantisch völlig falsch verwendet werden und dass dadurch, zweitens, erheblicher Schaden verursacht wird. Nicht nur für viele Menschen, sondern die gesamte Gesellschaft.

Sprache widerspiegelt Denken

Um es radikal auf den Punkt zu bringen:
„Abnutzung“ gibt es im menschlichen Körper nicht. Der Begriff ist der Mechanik und Festkörperlehre entlehnt und bezieht sich damit auf unbelebte Materie. Und was ist dagegen menschliches Gewebe?

Die Redensart „Wo gehobelt wird, da fallen Späne!“, macht deutlich, worum es hier im Grundsatz geht. Wenn zwei Festkörper auf- oder aneinander reiben, kommt es zu Abrieb an deren beider Oberfläche. Kleinste Partikel werden durch mechanischen Druck aus ihrem Umfeld herausgerissen und an die Umgebung abgegeben. Im Laufe der Zeit werden die beiden „Reibepartner“ dadurch kleiner. Sie verlieren an Substanz. Sie nutzen sich ab, sie verschleißen. Irgendwann sind sie nicht mehr zu gebrauchen. Nicht mehr nutzbar, weil abgenutzt. Unnütz.

Am Auto lassen sich viele Beispiele für dieses Phänomen finden. Radlager „schlagen aus“, Bremsscheiben und Bremsbeläge „fahren sich ab“ und Reifenprofile werden „blank poliert“. Die „Verschleißteile“ sind nicht reparierbar, sie müssen ausgetauscht werden. Stofflicher Abrieb von Festkörpern wie Gummi, Stahl oder Stein, ist räumlich gesehen weg und kommt nicht wieder. Was weg ist, bleibt weg. Zerstört man Feststoffe, bleiben sie zerstört. Aus sich selbst heraus können sie sich nicht wieder erneuern, wieder wie vorher werden. Knickt man ein Rohr, bleibt der Knick. Zerbricht man einen Ast, bleibt der Bruch.

Menschliches Gewebe repariert sich selbst

Was aber passiert, wenn sich der Mensch etwas bricht? Sagen wir mal das Bein?

Dann passiert etwas ganz anderes. Der Bruch wächst wieder zusammen. Ganz von allein. Von sich aus, ohne dass man etwas dafür tun muss. Oder dafür tun kann. Das geht nämlich nicht. Das einzige, was man kann, ist, ihn daran zu hindern, wieder zusammenzuwachsen. Nach der Heilung ist der Knochen wieder wie neu. Als ob nie was gewesen wäre. Er hat sich re-generiert. Sich selbst wiederhergestellt. Faszinierend, oder?

Leben ist Veränderung und Bewegung

Der menschliche Organismus ist in der Lage, „Verschlissenes“ wieder zu reparieren. Deshalb können gebrochene Knochen auch wieder zusammenwachsen, genauso wie Muskel-, Kapsel- und Bänderfaserrisse. Egal, welches Körpergewebe wir uns anschauen. Es ist in Bewegung und in permanentem Umbau. Es lebt. Altes wird durch neues ersetzt, lädierte Strukturen wieder „geflickt“. Der menschliche Körpers besteht aus „belebter Materie“, die zur Selbstveränderung fähig ist. So wird gewährleistet, dass der Gesamtorganismus funktionstüchtig bleibt, sollten Strukturen durch Verletzung einmal „angeschlagen“ sein.

Benutzen, um es zu erhalten

Der gleiche Mechanismus bewirkt, dass der Muskel bei Belastung wächst oder sich bei Entlastung wieder zurückbildet. Der Knochen tut dies genauso wie Faszien, Bänder, Gelenkknorpel, Hautstrukturen und andere auch. Je nachdem wie Gewebestrukturen „benutzt und gebraucht“ werden, verändern sie ihre Form und damit ihr Funktion.

Aufgrund dieser Mechanismen kann auch Knorpelgewebe prinzipiell nicht verschleißen, oder sich abnützen. Es wächst ja immer wieder nach, sollte es mal überstrapaziert werden. Einziger Grund für Knorpelschwund, verhinderte Re-Generation!

Knorpelgewebe ernährt sich durch wechselnde Druck- und Zugbelastungen. Herrscht chronischer Dauerdruck, „verhungert“ das Gewebe. Magert ab, wird dünner und schwindet, bis es ganz weg ist. Und dann knirscht es im Gelenk-Gebälk. Dies ist der Grund für verschwundenes Knorpelgewebe, auf der die Arthrose-Erkrankung fußt. Mit unumkehrbarem Verschleiß hat dies mitnichten zu tun. Wir wissen heute, dass sich auch Knorpelgewebe regenerieren kann. Wenn man es lässt. Es gibt auch Antworten auf die Frage, wie das gehen könnte. Dazu aber ein anderes Mal.

Zwei Worte weniger und die Welt wäre glücklicher

Das Fatale an der medizinischen Auffassung von „Verschleiß“ und „Abnutzung“ ist die Aussichtslosigkeit, die damit verbunden ist. Was soll man auch tun, wenn es heißt: „Abnutzung, tja, dagegen kann man nichts (mehr) machen!“, außer sich seinem Schicksal zu ergeben. Was dann therapieren, operieren und medikamentieren heißt. Und leiden natürlich. Und Verlust an Lebensqualität und Berufsfähigkeit. Eine solche Aussage wirkt, als ob demjenigen, der diese zu hören bekommt, der Stecker gezogen wird. Wo nichts zu machen ist, wird auch nichts gemacht. Jedenfalls nichts, was dagegen wirkt.

All das macht Präventionstrainer fassungslos. Weil sie wissen, dass dies nicht so sein müsste. Und, weil sie baff sind, ob der Macht, die einzelnen Worten inne wohnt. Das sie millionenfaches Leid anfachen und milliardenschwere Kosten verursachen können. Gelder, die den Sozialversicherungssystemen fehlen und Menschen, die der Wirtschaft fehlen. All dies müsste nicht sein, wäre nicht von „Verschleiß“ und „Abnutzung“ die Rede, sondern von Gebrauch und Regeneration. Ein sich regenerierender Knorpel erhält seine Funktion (zurück). Dies ist die Botschaft!

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